Ein sprechender Hut steckt Harry Potter in das Haus Gryffindor, die britische Queen soll rund 5.000 Hüte besitzen, und auch in Krefeld ist das seltene Hutmacherhandwerk noch nicht ausgestorben. Ob aus Filz oder Stroh, mit Schleier, Tüll oder Federn, die maßgefertigten Hutkreationen von Carolin Pomränke sind außergewöhnlich. Auch wenn Hüte im Alltag rar geworden sind: Die Arbeit mit ihren Händen macht die gelernte Modistin mit Meisterbrief noch immer „zutiefst zufrieden“. Aus privaten Gründen kehrt sie 2015 nach Stationen in München, Paris und Florenz in ihre Geburtsstadt zurück. Für unsere monatliche Reihe „Wie wird man eigentlich …“ besuchten wir ihr kleines, aber feines Atelier an der Stephanstraße 24. Und trafen dort auf eine geerdete Frau, die Menschen seit Jahren gut behütet und glücklich macht.
Gut gelaunt öffnet Carolin Pomränke die alte Holztür zu ihrem weiß-rosa eingerichteten Hutsalon in der Krefelder Innenstadt. Alles an ihr ist in Bewegung, ihre Hände, die goldenen Ohrringe und sogar die fließende Kleidung, die passend zu ihrem Beruf aus Wolle und Filz gefertigt ist. Und doch strahlt sie eine Ruhe und Gelassenheit aus, die sich durch unser ganzes Gespräch ziehen wird. „Die Leidenschaft für Hüte begleitet mich mein Leben lang, und diese haptische Arbeit ist im Grunde wie Meditieren, sie gibt mir ganz viel Kraft“, zieht die Meisterin eine Zwischenbilanz. Denn sie hat noch viel vor in ihrer alten Heimat, will mehr Kurse an der Volkshochschule geben und auch wieder am Theater arbeiten, wie gerade für die aktuelle Produktion „Queen’s Last Night“. Ihre dunkel umrandeten Augen leuchten, wenn sie von ihrer Faszination für Kopfbedeckungen erzählt, von der Wirkung großer Hüte auf der Bühne, aber auch der individuellen Bedeutung von Kopfschmuck für das Selbstbewusstsein einer Frau. In Hutkursen, Workshops und sogenannten Freundinnennachmittagen mit Sekt und Kuchen stelle sie häufig fest, wie gut das Endergebnis die Persönlichkeit der Teilnehmerinnen unterstreiche. „Jede Frau macht genau das, was für sie passt. Auch wenn alle im Kurs mit den gleichen Grundmaterialien arbeiten: Der Hut ist am Ende typgerecht, manchmal verspielt, manchmal cool, mit Schleier oder ohne, aber immer passend zum Wesen.“ Wir können die Begeisterung für ein Accessoire, das „schmückt und schön macht“, auch mal eine zu spielende Rolle verstärkt, förmlich greifen. Und wollen nicht verschweigen, dass es neben den handgefertigten Modellhüten, Mützen und Federgestecken für Frauen auch eine aus London zugekaufte Männerkollektion im Laden gibt, die von der Inhaberin als „farbenfroh, trendy und cool“ beschrieben wird.
Schon als Kind holt Pomränke die vielen Hüte ihrer Großmutter aus dem Schrank und probiert verschiedene Rollen aus, sodass nach dem Abitur in Wuppertal schnell klar ist: „Ich will nicht studieren, sondern kreativ und handwerklich arbeiten.“ Ein großer Zeitungsbericht über den Hutmacherberuf gibt den Ausschlag; die gebürtige Krefelderin zieht es nach München, um bei der bekannten Modistin Berta Häusler in die Lehre zu gehen. Heute sind Hutmacher und Modisten selten geworden in Deutschland, für 2019 gibt der Zentralverband des deutschen Handwerks durchschnittlich 292 tätige Personen an. Dabei ist Hutmacher ein jahrhundertealter Handwerksberuf, der sich mit der Herstellung von Hüten und anderen Kopfbedeckungen aus Materialien wie Filz, Stoff, Leder, Pelz oder Stroh beschäftigt. Bis in das 20. Jahrhundert hinein beschränkten sich Modisten auf weibliche Kundschaft, während Hutmacher die Kopfbedeckungen für Männer herstellten. Im Jahr 2004 wurde die Ausbildungsordnung in Deutschland angepasst, und seitdem lautet die offizielle Berufsbezeichnung für alle „Modist“, egal ob sie Hüte für Herren auf Stahlformen oder für Damen auf Holzformen fertigen.
Die Modestadt Paris wird das nächste Etappenziel der ehrgeizigen Gesellin, sie vervollkommnet ihre Fertigkeiten bei Marie Mercié, die auch das Variété Moulin Rouge ausstattet. Dann geht es zurück an die Staatsoper in München, sie legt bei Berta Häusler die Meisterprüfung ab, arbeitet für Film, Theater und Modenschauen und macht sich schließlich selbstständig. Die Metropolen haben es ihr angetan, noch heute kauft sie gern auf Messen in Paris oder Düsseldorf ein, doch eine Stadt liebt sie besonders: Florenz. Bei „Signora Gracia“ seien in einer alten Fabrikhalle einfach immer noch die besten Schätze zu fifinden, von Schleiern, Blumen, Filzen bis zu Stoffen oder Stumpen geht Pomränke das Herz auf. Sie greift mit beiden Händen in ein Metallregal, das mit über 200 Hut- und Randformen aus Lindenholz prall gefüllt ist, und zieht einen Hutstumpen hervor.
„Dieser Rohling ist beispielsweise aus Haarfilz gefertigt und dient als Grundlage“, erklärt sie, wie ein Hut geschaffen wird. „Der Stumpen wird nach dem Appretieren über einen hölzernen Hutblock gezogen. Mittels Hitze, Druck und Feuchtigkeit wird der Filz durch das Bügeln mit feuchtem Tuch elastisch und beweglich. Nach der Trocknung bearbeite ich die Oberfläche, arbeite Garnituren und Applikationen ein und nähe ein Futterband ins Innere.“ Am meisten Spaß mache ihr das Garnieren der Hüte, denn dies sei der „kreativste Teil“ ihrer Arbeit. Mindestens acht Arbeitsstunden müsse sie für die Fertigung eines Hutes veranschlagen, dazu kommen die Materialkosten und Zeit für die Anproben. Große Events wie Hochzeiten, Taufen oder ein Besuch auf der Krefelder Rennbahn sind die häufifigsten Anlässe, für die in unserer Region ein individueller Hut geschaffen werden soll. Aber Pomränke erinnert sich auch gern an einen jungen Mann, der für ein Vorstellungsgespräch in Leipzig einen dunkel- blauen Filzhut bestellte. „Das war ein cooler Typ, der alle Details selbst ausgesucht und auf die Fertigstellung richtig hingefiebert hat.“ Am Ende eines ziemlich langen Kreationsprozesses steht schließlich ein Kunstwerk, das ab 250 Euro zu haben ist und „Menschen glücklich macht“. Denn in vielen Jahren Selbstständigkeit hat die Modistin auch ein gutes Gefühl dafür entwickelt, welcher Hut zu welcher Persönlichkeit am besten passt – und sie ist stolz darauf, dass sie ihre „Hände als Verbindung“ zum Gegenüber nutzen kann.
Nun wird die Seidenstadt Krefeld nicht oft in einem Atemzug mit Paris oder Florenz genannt, und so war es hier – im Gegensatz zur Hutleidenschaft – für die Mutter von drei erwachsenen Kindern auch erst Liebe auf den zweiten Blick. Mittlerweile lebt auch ihre beste Freundin aus München in der Gegend, noch am Abend werde sich ihr kleiner Frauenclub im Atelier zu Matjes treffen, schmunzelt Pomränke. „Natürlich mit Hütchen auf.“ Sie findet die Stadt charmant, schwärmt von den schönen Hinterhöfen, in denen sich oft tolle Restaurants wie die „Fette Beete“ versteckten, und ist dankbar für liebe Menschen, die ihre Arbeit schätzten und sie auch in schwierigen Zeiten unterstützten. So erhält sie fast täglich Anrufe von Kunden, die fragen, ob ihr Laden trotz Corona noch existiere. Ja, das tue er, auch wegen der „besten Vermieterin der Welt“. Der Krefelder Weihnachtsmarkt war übrigens wieder ein echter Hingucker, und auch das Team vom Stadtmarketing sollten wir lobend erwähnen.
Aufgewachsen in einem Arzthaushalt, hat sich die Modistenmeisterin vor ein paar Jahren ein zweites berufliches Standbein geschaffen, das wie ein guter Hut perfekt zu ihrem Wesen passt. Seit 2017 ist sie Zertifizierte Gesund- heitspraktikerin und hat sich der sogenannten Craniosacralen Körperarbeit verschrieben. Diese Behandlungsmethode stammt aus der Osteopathie und basiert unter anderem auf sanften Handgriffen an Schädel, Wirbelsäule und Steißbein. Pomränke beschreibt mit ruhiger Stimme, wie sie Menschen in ihrer Praxis durch Stille und Berührung helfen will, Selbstheilungskräfte zu aktivieren und im Alltag resilienter zu werden. Schließlich ist sie ganz gerührt von unserem kleinen Austausch über Achtsamkeit und resümiert: „Ich empfinde tiefe Dankbarkeit, dass ich das mit meinen Händen machen darf, was wohl meine Berufung ist.“ Ob Hüte für einen besonderen Anlass oder Auszeiten in ihrem Gesundheitsberuf – ihre Arbeit macht viele Menschen, eingeschlossen Carolin Pomränke, offensichtlich sehr glücklich.